UN-Expert:innen fordern von Marokko, Abriss sahrauischer Häuser zu stoppen
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Während Marokko seine Projekte zur Erzeugung grüner Energie in der besetzten Westsahara ausweitet, fordern acht UN-Sonderberichterstatter:innen das Königreich auf, den Abriss des Eigentums von Sahrauis zu stoppen,.

02. Juni 2025

Foto: Eines von vielen Bauprojekten in der Westsahara. Eine der bei den UN-Gremien eingereichten Landraubvorwürfe betrifft dieses Unternehmen. @ElliLorz.

In einer Erklärung, die letzte Woche veröffentlicht wurde, verurteilen acht UN-Sonderberichterstatter:innen die anhaltende Repressions-Kampagne Marokkos, rassistische Diskriminierung und Gewalt gegen sahrauische Menschenrechtsverteidiger:innen, Journalist:innen und Verfechter:innen des Selbstbestimmungsrechts, wobei 79 Opfer als Referenzfälle genannt werden.

Ein Teil des umfangreichen Materials, das die UN-Expert:innen analysiert haben, betrifft die Zerstörung von Häusern von Sahrauis durch die marokkanischen Behörden, um Platz für Infrastrukturprojekte zu schaffen.

Die Expert:innen fordern Marokko auf, „Informationen über die Maßnahmen vorzulegen, die ergriffen wurden, um den von den Zerstörungen und Zwangsräumungen betroffenen Personen und Haushalten eine angemessene Entschädigung oder Ersatzunterkünfte sowie Rechtsbehelfe zu gewähren und weitere Zerstörungen und Zwangsräumungen zu verhindern“.

In der gemeinsamen Erklärung wird Marokko aufgefordert, seinen internationalen Menschenrechtsverpflichtungen nachzukommen und sicherzustellen, dass das Volk der Westsahara sein Recht auf Selbstbestimmung im Einklang mit dem Völkerrecht uneingeschränkt ausüben kann.

Die Erklärung selbst wurde zwar erst letzte Woche veröffentlicht, die Schlussfolgerungen waren jedoch bereits am 20. März 2025 getroffen worden.

Die Passage bezüglich Beschlagnahmungen und Zwangsräumungen lautet wie folgt (inoffizielle Übersetzung):

Nach vorliegenden Informationen haben die marokkanischen Behörden entlang der Küste der Westsahara eine groß angelegte Landbeschaffungsaktion durchgeführt. Dabei wurden private Grundstücke zerstört und Zwangsräumungen durchgeführt, die vor allem sahrauische Hütten und Häuser in Meeresnähe betrafen. Es wird vermutet, dass die Aktion darauf abzielt, das Gebiet für Windkraft-, grüne Wasserstoff- und Tourismusprojekte zu räumen.

Berichten zufolge begann die Landnahme in der Region Lamside, wo Dutzende Hütten und Häuser zerstört wurden. Sahrauische Häuser und Besitzgegenstände wurden mutmaßlich mit Bulldozern zerstört oder in Brand gesetzt. Die Aktion wurde in anderen Regionen fortgesetzt, darunter Agte Baba Ali, Boulemaayrdat und Foum El Oued. Lokale Aktivist:innen beobachteten und dokumentierten die groß angelegte Brandstiftung an Häusern und Hütten der Sahrauis, einschließlich ihres Inventars, trotz Protesten der Eigentümer:innen, die gewaltsam entfernt wurden. Einige Hausbesitzer:innen wurden bei der Aktion verletzt. Die Kampagne wurde in den nördlichen Küstengebieten fortgesetzt, wo Häuser der Sahrauis nördlich von Wadi Saqia El Hamra zerstört wurden.

Es wird davon ausgegangen, dass Hunderte Sahrauis im Rahmen dieser Operation gezielt angegriffen und gewaltsam vertrieben wurden. Allerdings sind nur sehr wenige derjenigen, die ihr Zuhause verloren haben, bereit, sich öffentlich zu äußern, da sie Vergeltungsmaßnahmen seitens Marokkos und privater Unternehmen befürchten.

Nach vorliegenden Informationen besaßen am Strand von Boulemaayrdat in der Nähe von El Aaiún mehr als einhundert sahrauische Familien Ferienhäuser, in denen sie seit Jahrzehnten ihre Sommerferien verbrachten. Die Nutzung dieser Häuser war ein wichtiger Bestandteil der sahrauischen Kultur und diente als Rückzugsort fernab der Stadt und der starken marokkanischen Polizei- und Militärpräsenz in El Aaiún. Seit November 2010, nach der Räumung des Lagers Gdeim Izik, haben die marokkanischen Behörden den Sahrauis verboten, in diesen Häusern zu übernachten. Sie erlauben nur Tagesbesuche und verlangen, dass die Häuser vor Sonnenuntergang verlassen werden. Die marokkanischen Behörden begannen im Februar 2022 mit der Niederbrennung dieser Häuser und setzten dies im Februar 2024 fort. Berichten zufolge haben mehr als einhundert Sahrauis ihre Häuser am Strand von Boulemaayrdat verloren, darunter Dah Mustapha, El Fakir Bombi, Saïd Haddad und Mohamed Laghrid.

Am 4. Februar 2023 sollen marokkanische Hilfstruppen das Haus von Dah Mustapha in Brand gesetzt und zerstört haben. Herr Mustapha war zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend und erhielt keine vorherige Warnung, bevor sein Eigentum zerstört wurde.

Berichten zufolge kamen am frühen Morgen des 13. Februar 2024 marokkanische Hilfstruppen und die Königliche Gendarmerie zum Haus von Herrn El Fakir Bombi und forderten ihn auf, seine Hütte zu verlassen und seine Möbel und sein Auto aus der Garage zu entfernen, sonst würden sie alles verbrennen. Herr Bombi weigerte sich und erklärte, er brauche Zeit, um die Hütte abzubauen, da er viel Geld für den Bau ausgegeben habe. Daraufhin setzten die Behörden das Haus in Brand. Herr Bombi eilte herbei, um sein Auto aus der Garage zu holen und weg vom Feuer zu fahren, das die Hütte schnell vollständig verschlang und den Rest seines Hab und Guts zerstörte.

Es wurde auch berichtet, dass am frühen Morgen des 13. Februar 2024 das Haus von Herrn Saïd Haddad von Hilfstruppen und der Königlichen Gendarmerie zerstört wurde. Sie kamen zu seinem Haus, forderten ihn auf zu gehen und setzten es sofort in Brand.

Ähnlich soll Mohamed Laghrid am 13. Februar 2023 um 7:00 Uhr morgens von Hilfstruppen und Gendarmerie aufgefordert worden sein, sein Haus zu räumen. Herr Laghrid fragte, ob er zuerst das Holz entfernen könne, um es wiederzuverwenden oder zu verkaufen, aber sie lehnten dies ab und setzten das Haus sofort in Brand.

Am 16. Februar 2024 leitete der Chef der Region Takh den Abriss einer Hütte in Meeresnähe, die dem sahrauischen Aktivisten Ahmed Salem Hamida gehörte. Herr Hamida wurde ebenfalls verbal angegriffen und mit Verhaftung bedroht, nachdem er gegen die Zerstörung seiner Hütte und der Hütten seiner Familienangehörigen protestiert hatte.

Nach eingegangenen Berichten wurde in einem anderen Fall von Landenteignung Frau Salma Lekhlifi und ihrer Familie im Jahr 2020 ein Teil ihres Familienhauses von den marokkanischen Behörden beschlagnahmt, und die Behörden versuchen nun, den Rest des Grundstücks zu beschlagnahmen, um Platz für neue Wohnungen für marokkanische Siedler:innen zu schaffen. Die Familie von Frau Lekhlifi wurde von marokkanischen Streitkräften wegen der Veröffentlichung des Falls mit Repressalien wie Misshandlung, Einschüchterung und Drohungen konfrontiert. Die Familie wurde auch von lokalen Behörden und privaten Unternehmen eingeschüchtert und bedroht und fürchtet nun um ihr Leben.


Die Mitteilung folgt auf eine Reihe früherer Mitteilungen der Vereinten Nationen, in denen in den letzten fünf Jahren verschiedene Bedenken geäußert und systematische rassistische Diskriminierung und die gezielte Verfolgung sahrauischer Identität angeprangert wurden. Trotz der Antworten Marokkos auf viele dieser Briefe stellen die UN-Expert:innen nun mit Besorgnis fest, dass die Unterdrückung, Schikanierung und Diskriminierung von sahrauischen Personen und Organisationen nicht nur fortgesetzt, sondern sogar verschärft wurden. Soweit WSRW bekannt ist, ist dies jedoch das erste Mal, dass die Gremien des UN-Menschenrechtsrats sich zu solchen Landraubmaßnahmen äußern. Die UN-Expert:innen fordern Marokko auf, den Opfern eine angemessene Entschädigung zu gewähren und weitere Zerstörungen und Zwangsräumungen von Sahrauis zu verhindern.

In einer Antwort vom 16. Mai 2025 wies Marokko die Vorwürfe weitgehend zurück und behauptete, die Mitteilung sei das Ergebnis einer Politisierung und Instrumentalisierung der Sonderverfahren der UNO gegen Marokko.

Marokko hat Unternehmen wie Enel, Engie und GE Vernova mit der Durchführung von Projekten in den besetzten Gebieten beauftragt, ohne die Zustimmung des sahrauischen Volkes einzuholen.

Die Mitteilung der Vereinten Nationen ist das Ergebnis einer Beschwerde der Arbeitsgruppe für Menschenrechte in der besetzten Westsahara (WGHRWS), der Sahrauischen Vereinigung der Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen durch den marokkanischen Staat (ASVDH) und CODESA, dem Kollektiv sahrauischer Menschenrechtsverteidiger:innen.

„Die Mitteilung deckt die systematische und weit verbreitete Verfolgung von sahrauischen Aktivist:innen und Menschenrechtsverteidiger:innen auf. Dennoch kratzt sie nur an der Oberfläche der unerbittlichen täglichen Unterdrückung, unter der das sahrauische Volk in der besetzten Westsahara leidet“, erklärten die Organisationen in einer Pressemitteilung. "Trotz wiederholter Verurteilungen durch die UNO verfolgt Marokko weiterhin sahrauische Zivilist:innen allein aufgrund ihrer Identität – und das völlig straffrei. Die Lage wird von Tag zu Tag gefährlicher, da den Vereinten Nationen seit fast einem Jahrzehnt der Zugang zum Gebiet verwehrt wird, wodurch der Schutz der Menschenrechte nicht gewährleistet ist und vernachlässigt wird."

Um auf die aktuelle Lage in der besetzten Westsahara und den Inhalt des jüngsten UN-Dokuments aufmerksam zu machen, organisieren die einreichenden Organisationen am 14. Juni 2025 ein Webinar.

Die gemeinsame Erklärung der Vereinten Nationen wurde unterzeichnet von

  • K.P. Ashwini, UN-Sonderberichterstatterin für zeitgenössische Formen von Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängender Intoleranz,
  • Irene Khan, UN-Sonderberichterstatterin für die Förderung und den Schutz des Rechts auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung,
  • Gina Romero, UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit,
  • Balakrishnan Rajagopal, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf angemessenen Wohnraum als Bestandteil des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard und auf Nichtdiskriminierung in diesem Zusammenhang,
  • Mary Lawlor, Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen zur Lage von Menschenrechtsverteidigern,
  • Margaret Satterthwaite, Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen zur Unabhängigkeit von Richtern und Rechtsanwälten,
  • Alice Jill Edwards, Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für Folter und andere grausame, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und
  • Reem Alsalem, UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, ihre Ursachen und Folgen.


Unter Hinweis auf die geäußerten ernsthaften Bedenken forderten die acht UN-Experten Marokko auf,

  • Maßnahmen anzugeben, die ergriffen wurden, um sicherzustellen, dass das Volk der Westsahara sein Recht auf Selbstbestimmung im Einklang mit dem Völkerrecht uneingeschränkt ausüben kann, sowie Maßnahmen, die ergriffen wurden, um ein Referendum über die Wahl zwischen Unabhängigkeit oder Integration der Westsahara in den marokkanischen Staat zu gewährleisten.
  • Maßnahmen zu ergreifen, um rechtlich und in der Praxis die wirksame Ausübung des Rechts der Sahrauis auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung zu gewährleisten.
  • Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass alle sahrauischen Aktivist:innen, Menschenrechtsverteidiger:innen, Journalist:innen und Rechtsanwält:innen, einschließlich Frauen, ihre Tätigkeit ohne unzulässige Einmischung und ohne Angst vor Repressalien, Gewalt und/oder ungerechtfertigten Einschränkungen ihrer Tätigkeit ausüben können.
  • Maßnahmen, um sicherzustellen, dass alle Fälle von Unterdrückung, einschließlich übermäßiger Gewaltanwendung durch die Strafverfolgungsbehörden, Überwachung, Einschüchterung und Repressalien gegen Sahrauis, wirksam, gründlich und unparteiisch untersucht werden, dass die Täter bestraft werden und dass die Opfer eine angemessene Entschädigung erhalten.
  • Maßnahmen, um Personen und Haushalten, die von Abrissmaßnahmen und Zwangsräumungen betroffen sind, eine angemessene Entschädigung oder alternative Unterkünfte sowie Rechtsbehelfe zu gewähren und weitere Abrissmaßnahmen und Zwangsräumungen zu verhindern.


Frühere Mitteilungen der Vereinten Nationen zu verwandten Themen umfassen MAR 1/2025, MAR 2/2024, MAR 2/2023, MAR 3/2022, MAR 4/2021, MAR 5/2021, MAR 5/2020, MAR 3/2020, MAR 2/2020, MAR 5/2019, MAR 2/2019, und MAR 1/2019.


 

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